Richter 19
Judges 19 Kingcomments Bibelstudien

Einleitung

Wie schon angemerkt, bilden auch Richter 19–21 ein Ganzes. Sie erzählen uns über dasselbe Geschehnis, und die Ergebnisse davon legen den moralischen Zustand des Volkes bloß.

Gott beschönigt niemals den Zustand der Seinen, nicht bei dem Einzelnen und nicht bei dem Volk als Ganzem. Peinlich detailliert wird ein Geschehnis beschrieben, das seinesgleichen unter dem Volk Gottes nicht kennt. Es kann schockierend sein, so etwas zu lesen, aber es muss gelesen werden. Gott hat dies nicht umsonst in seinem Wort aufgenommen. Jeder von uns muss sich bewusst werden, dass dies ein Geschehen ist, zu dem jeder von uns kommen kann. Wer meint, dass er nicht zu so etwas imstande sei, kennt sich selbst noch schlecht. Weiterhin ist es gut und nützlich zu wissen, dass Gott auch die schlechtesten Züge in uns kennt.

Der Herr Jesus hat auch das für all die Seinen tragen wollen. Er kennt wie kein anderer die verborgenen Tiefen des menschlichen Herzens und das, was sich offenbaren kann, wenn die Gelegenheit sich bietet oder die Umstände sich dazu neigen. Er wusste, was es bedeutete, hiermit in die Gegenwart Gottes kommen zu müssen. Darum wurde in Gethsemane sein Schweiß wie große Blutstropfen. Dort hatte er ein Vorgefühl des Leidens, das Er auf dem Kreuz erfuhr, als Er zur Sünde gemacht wurde und Gottes Zorn der Sünde wegen Ihn traf.

Wo die Verbindung mit Gott verlassen wird – wir haben das in Richter 17 und 18 gesehen –, wird auch die Einheit des Volkes zerbrochen, und es ist keine Rede mehr von gemeinschaftlichem Hinaufziehen in Liebe und Frieden. Nachdem die erste Tafel des Gesetzes zerbrochen worden ist, die die Verbindung zwischen dem Volk und Gott regelt, wird jetzt die zweite Tafel zerbrochen, die die Verhältnisse im Volk untereinander regelt. Der Bruch mit Gott sorgt dafür, dass auch jede andere Verbindung zerbrochen wird.

Wir können die folgende Unterteilung vornehmen:
1. Richter 19 beschreibt die Sünde.
2. Richter 20 beschreibt ihre Behandlung, wie das Volk damit umgeht.
3. Richter 21 beschreibt das Ergebnis dieser Behandlung.

Keine Autorität mehr in Israel

Der erste Vers sagt schon direkt, in was für einer Zeit sich die Geschichte, die sich vor unseren Augen vollzieht, abspielt. Er gibt wieder, wie es möglich ist, dass diese Gräueltat, die Gottes Geist so ausführlich beschreibt, mit ihren ganzen elenden Folgeerscheinungen, stattfinden kann. Es gibt keine anerkannte Autorität, der man sich zu unterwerfen hat. Jeder ist sein eigenes Gesetz. Das bereitet einen fruchtbaren Boden für die gräulichsten Ausschweifungen des bösen Herzens des Menschen, der Gott den Rücken zugekehrt hat. Als es dann auch noch jemanden betrifft, der zwar äußerlich mit Gott in Verbindung steht, aber in seinem Leben die Autorität Gottes nicht berücksichtigt, jemanden, der Ihn sogar beiseitegeschoben hat, dann ist der tiefste Fall nahe.

Ist bei dem Leviten aus dem vorherigen Kapitel noch eine gewisse Erkenntnis Gottes vorhanden, bei dem Leviten, von dem wir hier lesen, ist nichts mehr von Gott zu finden. Gott scheint für ihn nicht zu bestehen. Hier wird der Ausspruch bestätigt, dass das Verderben des Besten das schlimmste Verderben ist. Wir bekommen es mit Dingen unter dem Volk Gottes zu tun, die man sogar in der Welt verurteilt (vgl. 1Kor 5,1).

Die Untreue der Nebenfrau

Wenn wir sehen, wie der Levit mit seiner Nebenfrau umgeht, wird sie sich bei ihm anscheinend nicht sehr wohl gefühlt haben. Es ist nichts von einer gewissen Zuneigung zu entdecken. Das zeigt sich auch in der Tatsache, dass er erst nach vier vollen Monaten dazu kommt, sich einmal auf die Suche nach ihr zu begeben. Dies spricht die Frau nicht frei. Dass sie bei ihrem Mann keine Erfüllung finden kann, ist für sie kein Freibrief, um mit einem anderen Mann ins Bett zu gehen. Das Benehmen der Frau stellt eigentlich das dar, was der Levit selbst war: untreu in seinem Verhältnis zu Gott.

Die Wiedervereinigung und der Aufbruch

Es dauert vier Monate, bevor der Mann beschließt, sich auf die Suche nach seiner Frau zu begeben, denn er will sie doch zurück haben. Es ist möglich, dass er sie nur um der Schmach willen zurück haben will, die er erfährt, wenn er immer erzählen muss, dass seine Frau weggelaufen ist, wenn er gefragt wird, wo sie ist. Er wird versuchen, seine Frau zu überreden, mit ihm mitzugehen, indem er auf ihr Gemüt einwirken wird oder wie es hier steht „um zu ihrem Herzen zu reden“.

Nichts macht deutlich, dass er versuchen will, seine Frau von ihrer Untreue zu überführen und sie zu einem Bekenntnis zu bringen. Auch zeigt sich in der Geschichte nirgends, dass seine Frau darin einwilligt, mit ihm mitzugehen. Nirgends lesen wir, dass sie etwas sagt. Ihre Tat des Ehebruchs und ihr gräuliches Ende zeugen davon, wie ihr Leben gewesen ist. In der Unterhaltung des Mannes mit ihrem Vater hat sie keinen Platz. Das können wir aus den Ri 19,6; 8 schließen, wo von „beiden miteinander“ die Rede ist, womit in beiden Fällen der Mann und der Vater gemeint sind.

In dieser Unterhaltung lässt der Mann sich als ein Lebensgenießer erkennen, der auf fleischliche Bequemlichkeit aus ist. Er ist leicht zu überreden. Er ist ein Mann ohne Rückgrat, dessen Leben von Essen und Trinken (Ri 19,4) und Fröhlichkeit (Ri 19,6) erfüllt ist. Als er beim Anbruch des vierten Tages aufbrechen will, weiß sein Schwiegervater ihn so mit Essen und Trinken an der Leine zu halten, dass er noch den ganzen Tag bleibt. Er überredet ihn sogar, noch weiter zu übernachten und fröhlich zu sein. Dieses „Fröhlichsein“ bezieht sich wieder auf Essen und Trinken. Sein fröhliches Leben geht Tag und Nacht weiter. Das Leben wird so zu einem großen Fest.

Der Schwiegervater weiß den Leviten noch einen fünften Tag mit Essen und Trinken festzuhalten. Erst am Abend des fünften Tages macht er sich auf den Weg. Diesmal lässt er sich nicht mehr überreden. Aber der Zeitpunkt seines Aufbruchs verbürgt gewiss keine erfolgreiche Reise. Die Verspätung, die er sich erlaubt hat, soll für ihn verhängnisvoll werden.

Als allgemeine Lektion können wir hieraus lernen, dass es nicht nur gut ist zu wissen, dass wir irgendwo hin müssen, sondern dass wir auch wissen, wann wir dort wieder weggehen müssen. Bei diesem Leviten sehen wir ausschließlich ein Handeln nach der Situation des Augenblicks und nach der Eingebung seines eigenen Herzens. Es ist ja die Zeit, in der jeder tut, „was recht war in seinen Augen“. Diese Menschen werden dadurch charakterisiert, dass „keine Furcht Gottes vor ihren Augen“ ist (Röm 3,18). Der Levit findet, dass jetzt die Zeit gekommen sei, um zu gehen, ohne sich zu fragen, ob der Zeitpunkt wohl richtig gewählt ist.

Die Übernachtung: Jebus oder Gibea

Nachdem sie ein kleines Stückchen gereist sind, wird es Zeit, um einen Ort zu suchen, wo sie übernachten können (es war ja schon gegen Abend, als sie aufbrachen). Jebus kommt in Sicht. Der Knecht macht den Vorschlag, dorthin zu gehen. Aber darauf sinnt der Levit nicht. Was sind die Einwände gegen Jebus? Er nennt es „eine Stadt der Fremden …, die nicht von den Kindern Israel sind“. Das ist das, was man einen krassen Fall von Pharisäismus nennt. Pharisäer sind Leute, zu denen der Herr Jesus sagt: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, [ihr] Heuchler! Denn ihr reinigt das Äußere des Bechers und der Schüssel, innen aber sind sie voll von Raub und Unenthaltsamkeit“ (Mt 23,25). Der Levit will offensichtlich äußerlich keine Verbindung mit dem Verkehrten haben, aber innerlich ist er selbst voller Unreinheit.

Dies beinhaltet die Warnung, dass wir vor einem ungleichen Verhältnis zwischen unserer persönlichen Heiligung und unserem öffentlichen Auftreten aufpassen müssen, anders gesagt, zwischen Lehre und Leben. Dazwischen darf es keinen Unterschied geben. Was die Menschen von uns sehen, muss die Folge unserer inneren Gemeinschaft mit Gott und dessen, was Er uns durch sein Wort deutlich gemacht hat, sein. Wenn unser praktisches Auftreten vor den Menschen sehr gewissenhaft ist, während wir es mit unserer persönlichen, inneren Heiligung vor Gott nicht so genau nehmen, gibt es kein Bewusstsein davon, was Sünde ist. Die Fortsetzung dieses Kapitels lässt das deutlich erkennen. Er nimmt auf Gott keine Rücksicht, allein auf das, was die Menschen sagen könnten. Er handelt so, als ob Israel noch nahe bei Gott lebt, während es schon sehr weit von Gott abgewichen ist.

Im Licht des moralischen Zustands in Israel ist das, was in Ri 19,14 steht – „und die Sonne ging ihnen unter nahe bei Gibea“ – mehr als die Beschreibung eines Naturphänomens. Die Sonne ging buchstäblich unter, das schon, es wurde Nacht. Aber es ist gleichzeitig ein Hinweis auf den Verfall in Israel, und besonders hier in Gibea. Es war ein Ort, wo bald, auf eine schreckliche Weise, deutlich werden wird, wie groß die geistliche Finsternis in den Herzen der Einwohner ist.

Es liegt auf der Hand, dass dem Leviten nicht bekannt ist, in was für einen unmoralischen Ort er hineinkommt. Auch daraus wird deutlich, dass er überhaupt kein Interesse für die Ehre Gottes inmitten seines Volkes hat. Ein Levit ist doch jemand, der von Gott dazu angestellt worden ist, sein Gesetz unter dem Volk zu lehren? So hat es Mose in seinem Segen von Levi gesagt (5Mo 33,10). Darauf pfeift der Levit offensichtlich. Was kann ihm der Zustand unter Gottes Volk ausmachen? Er denkt allein an sein eigenes Interesse und nicht an das von Gott und seinem Volk (vgl. Phil 2,4).

Unterkunft in Gibea

Die Wahl ist getroffen, Gibea wird der Ort, in dem sie übernachten werden. Dort angekommen, erwartet sie ein sehr kühler Empfang. Die erste Bekanntschaft mit dieser Stadt muss dem Leviten kalt angemutet haben nach der überfließenden Gastfreundschaft im Haus seines Schwiegervaters. Hieraus zeigt sich schon das niedrige moralische Niveau der Einwohner von Gibea. Die übliche Gastfreundschaft wird nicht praktiziert. Wo man auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse ausgerichtet ist, verliert man die Sorge für die Glieder des Volkes Gottes aus dem Auge und kommt somit nicht dazu, Gastfreundschaft zu erweisen. Das war damals so, das ist heute noch so.

Glücklicherweise werden sie von einem alten Mann bemerkt, der von seiner Arbeit zurückkommt und auf dem Weg nach Hause ist. Der alte Mann lebt dort als Fremdling, genauso wie Lot damals in Sodom. Er stellt zuerst einige Fragen. Das taten die Daniter in Richter 18 auch (Ri 18,3). Dort haben wir angemerkt, dass dem Leviten seine Augen für die Dinge, mit denen er beschäftigt war, geöffnet werden konnten, wenn er gut über Fragen nachgedacht hätte. Das können wir auch hier anwenden. Er erzählt, dass er von „Bethlehem-Juda zur äußersten Seite des Gebirges Ephraim“ reisen will, um zu seinem Haus zurückzukommen.

Die Umgebung, in die er will, ist die, welche er in Ri 19,1 verlassen hat. Er fügt hinzu, dass er auf dem Weg zum Haus des HERRN ist, das damals in Bethel oder in Silo stand. Ob er dort bleiben will oder es nur besuchen will, wird nicht deutlich. In jedem Fall fängt sein Gewissen bei der Erwähnung dieser Orte nicht zu reden an. Er wird dadurch nicht an seine Untreue Gott gegenüber erinnert und an das, was mit seiner Frau geschehen ist. Jemand, der mit seinem Gewissen weit von Gott entfernt ist, sieht die Hand Gottes in keinem Umstand mehr. Als er zu erkennen gibt, dass er auf dem Weg zum Haus Gottes ist, kann das sehr gut mit der Befriedigung eines religiösen Bedürfnisses zu tun haben, das aus seinem Gefühl hervorgeht und nicht aus einem Verlangen nach einer Begegnung mit Gott.

Er beklagt sich über den Mangel an Gastfreundschaft. Er benötigt lediglich eine Unterkunft. Weiter hat er nichts nötig, denn was den Rest betrifft, ist er mit allem versorgt. Dennoch wird sich seine Not als größer erweisen, als er denkt. Weil der alte Mann weiß, was in der Stadt vor sich geht, lässt er die Reisegruppe nicht auf dem Platz übernachten, sondern gewährt ihnen eine Unterkunft für die Nacht.

Es scheint so, als ob der Levit ein gutes Plätzchen für die Nacht gefunden hat, denn er kann seinen Wünschen nach Essen und Trinken nachgehen. Aber schon schnell wird deutlich, dass diese Gastfreundschaft keinen Schutz gegen die verderblichen Praktiken der Bürger der Stadt bietet.

Die Schandtat in Gibea

Während der Levit sich an Essen und Trinken genüsslich tut, als ob das Leben allein daraus besteht, bekommt er es mit der knallharten Realität des „ausschweifenden Wandel[s] der Frevler“ (2Pet 2,7) zu tun, wie in früherer Zeit Lot damit in Berührung gekommen ist, als er in Sodom wohnte (1Mo 19,4; 5). Es besteht jedoch ein großer Unterschied: Was früher im heidnischen Sodom stattfand, findet jetzt in Israel statt, unter dem Volk Gottes, durch Menschen, die Gottes Namen tragen. Hier kommen denn auch keine Engel, um einzugreifen, wie sie in 1. Mose 19 eingegriffen hatten (1Mo 19,10; 11). Später wird Gott von seinem Volk sagen: „Sie sind mir allesamt wie Sodom geworden und seine Bewohner wie Gomorra“ (Jer 23,14).

Im Neuen Testament stoßen wir auf einen derartigen Vergleich, wenn wir den Abschnitt aus Römer 1,29–32 neben 2. Timotheus 3,1–5 legen (Röm 1,29-32; 2Tim 3,1-5). Wir entdecken dann, dass von den Sünden, die in Römer 1 erwähnt werden und die dort auf die Heiden Bezug haben, viele in 2. Timotheus 3 wiederzufinden sind. Von 2. Timotheus 3 wissen wir inzwischen, dass es dort um Menschen geht, die sich Christen nennen. Israel ist hier auf das Niveau von Sodom und Gomorra abgesackt. Die Christenheit ist auf das Niveau der Welt abgesackt. Ist das für Gott nicht betrüblich?

Die Sünde, die in Gibea betrieben wird, ist die der Homosexualität. Die Männer von Gibea wollen sexuellen Verkehr mit dem Mann, der gerade eben in ihre Stadt gekommen war. Diese Leute geben sich mit einer Praktik ab, die in der Schrift deutlich verboten wird (3Mo 18,22; 3Mo 20,13). In Römer 1 wird diese Sünde als ein Gericht erwähnt, das Gott bringt, wenn man von Ihm abweicht und das Geschöpf mehr als den Schöpfer ehrt und dem Geschöpf mehr dient als den Schöpfer (Röm 1,25-27).

Die Bibel verurteilt die Praktik, nicht die Person. Aber wenn die Person nicht auf das hören will, was die Bibel sagt, wird die Person mit der Sünde identifiziert, und so jemand empfängt die Strafe für die Sünde. Das gilt übrigens für jede Sünde, die ein Mensch begeht. Gott hat die Tür zur Vergebung immer noch sperrangelweit offenstehen. Seine Bedingung ist jedoch, dass ein aufrichtiges Bekenntnis der Sünde erfolgt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, [so] ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1Joh 1,9).

Ein kurzes Wort über homosexuelle Gefühle ist hier sicher am Platz. Manchmal kommt es vor, dass jemand eine stärkere Anziehungskraft zu Menschen desselben Geschlechts als zu Menschen des anderen Geschlechts erfährt. Wer damit Schwierigkeiten hat, weil er oder sie Christ ist und den Empfindungen nicht nachgeben will, hat die Unterstützung von Mitchristen sehr nötig. Der Aufruf an uns als Mitchristen ist, einem solchen von Herzen beizustehen und ihn/sie im Kampf zu unterstützen.

Die Reaktion auf die Haltung der Männer ist genauso schockierend wie das, was die Männer wollen. Der alte Mann macht den ungeheuerlichen Vorschlag, seine eigene Tochter und die Nebenfrau seines Gastes zur Befriedigung ihrer perversen Lüste einzusetzen. Es kann durchaus wahr sein, dass, nach der Sitte des Orients, ein Gastgeber die Sicherheit seines Gastes völlig garantieren will. Dennoch ist es unbegreiflich, dass er dieses Angebot macht. Er gibt damit seine Zustimmung zum Begehen einer „kleinen“ Sünde, um eine größere zu verhindern. Lot hat mit dem Anbieten seiner Töchter dasselbe getan (1Mo 19,8). Wie dem auch sei, es bleibt eine widerliche, ekelhafte Sache.

So kann jeder Gläubige handeln, der seine Verbindung mit Gott verloren hat, aber doch noch eine gewisse „Ehre“ aufrechterhalten will. Wenn man in einer gottlosen Umgebung lebt, besteht die Gefahr der Abstumpfung der Empfindungen. Paulus warnt die Gläubigen in Ephesus hiervor und über sie hinaus auch uns. Denken wir niemals, dass wir zu so etwas nicht imstande wären. Gott kennt uns besser, als wir selbst uns kennen.

Sehr realistisch und kräftig sagt Paulus, geleitet durch den Heiligen Geist: „Dies nun sage und bezeuge ich im Herrn, dass ihr fortan nicht wandelt, wie auch die Nationen wandeln, in Eitelkeit ihres Sinnes, verfinstert am Verstand, entfremdet dem Leben Gottes wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, wegen der Verhärtung ihres Herzens, die, da sie alle Empfindung verloren, sich selbst der Ausschweifung hingegeben haben, um alle Unreinheit mit Gier auszuüben“ (Eph 4,17-19).

Und wie können wir verhindern, dass wir mitlaufen „zu demselben Treiben der Ausschweifung“ (1Pet 4,4)? Die nächsten Verse von Epheser 4 geben die Antwort: auf Christus blicken und im Glauben annehmen, dass auch zu mir gesagt wird: „Ihr aber habt den Christus nicht so gelernt, wenn ihr wirklich ihn gehört habt und in ihm gelehrt worden seid, wie [die] Wahrheit in dem Jesus ist: … aber erneuert werdet in dem Geist eurer Gesinnung und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,20-24). Das ist die herrliche Sicherheit, die nötig ist, um zur Ehre Gottes leben zu können inmitten so vieler Ausschweifungen und der Sittenlosigkeit um uns her.

Bei dem alten Mann und dem Leviten ist von einem Rufen zu Gott um Rettung keine Rede. Aus dem kaltblütigen Opfern seiner Frau wird deutlich, warum die Frau von ihm weggelaufen ist. Er hat überhaupt keine Zuneigung zu ihr. Er besitzt sie für sich selbst. Jetzt kann er sie gebrauchen, um seine Haut zu retten.

Mit knappen Worten, die wir in unserer Einbildungskraft nicht erwägen wollen, beschreibt der Heilige Geist, wie sie die ganze Nacht hindurch mit ihr beschäftigt sind. Es sind in der Tat die Werke der Finsternis, wovon wir lesen: „Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber straft [sie] auch; denn das, was heimlich von ihnen geschieht, ist schändlich auch [nur] zu sagen“ (Eph 5,11; 12). Dies ist der Mensch, der nach den Lüsten seines eigenen Herzens handelt, was immer auf Kosten des anderen geht.

Die Frau überlebt diese bestialische Behandlung nicht. Weil sie nirgendwo anders hin kann, geht sie zu dem Haus, „wo ihr Herr war“. Er war ihr „Herr“, das charakterisiert die Beziehung. Sie steht damit offenbar in derselben Beziehung zu ihm wie der Knecht (Ri 19,11). Sie war auch nicht mehr als ein Arbeitsgerät, über das er nach seiner Willkür verfügen kann. Bei dem Haus angekommen, sind ihre Kräfte erschöpft, und sie stirbt.

Die Reaktion des Mannes

Die Frau ist an der Sünde gestorben, in der sie früher gelebt und von der sie ohne Reue Abstand genommen hatte. Gott lässt das Maß der Sünde voll werden. Beim Tagesanbruch wird die Auswirkung des Bösen sichtbar, sowohl bei der Frau als auch bei dem Mann. Hier erweist sich, wie vollkommen gleichgültig der Mann ist, wie herzlos, wie völlig unempfindlich. Man kann sich nicht vorstellen, dass er normal schlafen konnte. Dennoch scheint es so, als ob er ruhig ins Bett gegangen ist. Als er am nächsten Tag aufsteht und etwas später aufbrechen will, sieht er seine Frau liegen. Ohne irgendein Gefühl der Anteilnahme, ohne irgendwie nach ihrem Zustand zu sehen, fordert er sie auf aufzustehen.

Ihre Hände auf der Schwelle sprechen vielleicht von dem Anspruch auf Schutz, den sie geltend gemacht hat und den jedes Haus in Israel ihr hätte verschaffen müssen. Sie muss durch das Böse der Männer von Gibea abscheulich gelitten haben, sowohl körperlich als geistig. Sie muss abscheulich gelitten haben, vor allem geistig, weil es niemanden gab, der sie in Schutz nahm. Sie muss abscheulich gelitten haben, als sie, nach solch einer abscheulichen Behandlung, kein Gehör in dem Haus fand, wo ihr Mann sich befand.

Als der Mann sieht, was geschehen ist, lädt er seine Frau auf seinen Esel und geht nach Hause. Zu Hause angekommen, schneidet er seine Frau in zwölf Stücke und schickt jedem Stamm Israels ein Stück ihres Leichnams. Der Mann handelt im kalten Bewusstsein, dass das, was mit seiner Frau geschehen ist, das ganze Volk angeht. Obwohl die Tat in einer bestimmten Stadt stattgefunden hat, ruht der Schmutz dieses Geschehens auf dem ganzen Volk. Jeder muss wissen, was in Gibea geschehen ist. Die Sünde des Einzelnen ist die Sünde des Ganzen.

Die Reaktion in Israel

Der Schock ist heftig, die Entrüstung groß. Nie war der Zustand Israels so gewesen, dass eine derartige Sünde hätte stattfinden können. Es ist auch eine Sünde, die ihresgleichen während der gesamten nationalen Existenz Israels nicht kennt. Jahrhunderte später erinnert der Prophet Hosea an diese Geschichte, um dem Volk deutlich zu machen, wie tief es gesunken ist: „Tief haben sie sich verdorben wie in den Tagen von Gibea … Seit den Tagen von Gibea hast du gesündigt, Israel“ (Hos 9,9a; Hos 10,9a).

Das Volk ist in Aufregung. Was soll geschehen? Es wird zur Überlegung und Beratung und zum Abhalten einer Aussprache aufgerufen. Was sollen die Nachbarvölker wohl darüber denken, wenn sie dies hören?

Über die Schmach, die Gott hiermit angetan worden ist und eine Scham darüber, dass dies unter ihnen, unter seinem Volk, geschehen ist, lesen wir nichts. Wenn sie sich wirklich um die Ehre Gottes gekümmert hätten, so hätten sie schon eher, in den vorausgegangenen Kapiteln, ihre Entrüstung deutlich werden lassen. Aber der Götzendienst von Micha und dem Stamm Dan hat sie kalt gelassen. Die Verunehrung, die Gott damit angetan worden ist, ist ihnen völlig gleichgültig und hat sie nicht in Aufregung versetzt. Doch jetzt, wo ihr „guter“ Ruf befleckt ist, jetzt müssen sie energisch auftreten.

© 2023 Autor G. de Koning

Kein Teil der Publikationen darf – außer zum persönlichen Gebrauch – reproduziert und / oder veröffentlicht werden durch Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder irgendwelche andere Weise ohne die vorherige schriftliche Genehmigung des Daniel-Verlages, Retzow, Deutschland, oder des Autors.



Bible Hub


Judges 18
Top of Page
Top of Page